Unter diesem Leitgedanken („Der Herr ist mein Hirte“), dem Beginn des 23. Psalms in hebräischer Sprache, sang der Regionalchor der Neuapostolischen Kirche unter Leitung von Melanie Koch am Sonntag, 29.1.2012, in der Christuskirche Reutlingen, nicht zuletzt, um mit den Spenden des Abends die Reutlinger Vesperkirche zu unterstützen.
Das Programm umspannte Psalmvertonungen aus drei Jahrhunderten – ein spannender, ja faszinierender Gang durch konträre Klangwelten und Kompositionsformen. In den Werken von Heinrich Schütz, Felix Mendelssohn Bartholdy und Leonard Bernstein zeichnete sich der Chor nicht nur durch stilistische und klangliche Beweglichkeit aus, sondern auch durch eine intensive, berührende Ausdruckstiefe.
Während Schütz psalmodiert, deklamiert, durch Takt- und Tempoänderungen größte Klarheit und Konzentration verlangt – so z.B. in der Vertonung des 23. Psalms - baut Mendelssohns "Warum toben die Heiden" ganz auf die harmonische und stimmliche Dramatik des Augenblicks. Klar, von großer Ausgewogenheit und gleichzeitiger Ausdrucksdichte in den Einzelchören strömten diese Meisterwerke der Motettenkunst in den weiten Raum der Christuskirche. Melanie Koch dirigierte hellwach und in jeder Hinsicht überzeugend, mit sparsamen, aber den Chor einfühlsam führenden Bewegungen. Dieser sang intonationssicher und deklamatorisch überzeugend.
Mit Mendelssohns Hymne „Hör mein Bitten“ nach Psalm 55 wagte sich der Chor an ein auch klanglich kühnes Spätwerk. Carolin Strecker sang hinreißend und deklamatorisch sicher den Solopart orgelbegleitet von der Empore; klangvoll antwortete der Chor aus dem Altarraum. Vielleicht waren es der Abstand der Musizierenden und der lange Klangweg, die etwas auf die sonst so überzeugende dynamische Differenzierung und Beweglichkeit drückten.
Aufwühlend der Schlusspunkt des Programms, Bernsteins immens schwere Chichester Psalms in hebräischer Sprache, auch in der kammermusikalischen Fassung des Komponisten ein klanggewaltiges, ja einzigartiges Zeugnis jüdischer Gottessicht, gleichermaßen durchdrungen von Widerstand und Ergebung, von Dissonanz und Konsonanz. Klangliche Schroffheiten, atonale Ballungen und ekstatische Rhythmen – Intonationssicherheit und rhythmische Prägnanz gerade in diesen Passagen des Werkes zeigten den Chor von seiner besten Seite, Frucht einer intensiven und sorgfältigen Vorbereitung. Dazwischen und insbesondere im Schlusssatz die lyrischtonalen Partien, zu denen die Knabenstimme Davids - vom zwölfjährigen André Schüle mit großer Klarheit und Wärme gesungen - wesentlich beitrug, nicht zu vergessen auch Martina Schrotts subtiles Spiel an der Harfe, Marius Mack, souverän an der Orgel und Albrecht Meincke mit präzis gesetzten Schlagzeugakzenten. Mit anhaltendem Beifall lohnten die Zuhörer im vollbesetzten Kirchenschiff die Leistungen der Mitwirkenden. Die Reutlinger Vesperkirche wird sich darüber hinaus über die 2500 Euro Spende ganz besonders freuen.