Den vorläufig letzten Gottesdienst in ihrem Kirchengebäude in der Dürrstraße 15 (Reutlingen-Betzingen) feierten die neuapostolischen Christinnen und Christen am Sonntag, 5. März 2023 mit Bischof Matthias Grauer. Danach begannen umfangreiche Umbau- und Renovierungsmaßnahmen am denkmalgeschützten Gebäude. Gleichzeitig wurde in diesem Gottesdienst die Fusion der beiden Kirchengemeinden Reutlingen-Süd (Alexanderstraße 80) und Reutlingen-West zur neuen Kirchengemeinde Reutlingen vollzogen. Die neu fusionierte Gemeinde wird während der Umbauzeit Gottesdienste in der Alexanderstraße 80 in Reutlingen erleben und dann gemeinsam – voraussichtlich Ende 2024 – das renovierte Gebäude in der Dürrstraße beziehen.
Das Gedächtnis an Verstorbene und die Zusammenführung der beiden Gemeinden zur „Gemeinde Reutlingen“ prägten gleichermaßen diese feierliche Stunde.
Als Predigtgrundlage dienten Jesuworte aus dem Evangelium des Johannes 10, 16: „Und ich habe noch andere Schafe, die sind nicht aus diesem Stall; auch sie muss ich herführen, und sie werden meine Stimme hören, und es wird eine Herde und ein Hirte werden.“
„Generationenvertrag der Liebe“
Bischof Grauer erinnerte sehr bewegt und dankbar an die Pioniere, die ab 1905 die Kunde vom wieder aufgerichteten Apostolat nach Reutlingen gebracht und eine Gemeinde aufgebaut hatten. Bereits bei der Einweihung des ersten eigenen Kirchengebäudes in der Alexanderstraße am 5.10.1913 sagte der damalige Bezirksapostel J. G. Bischoff: „… und wenn diese Kirche die verlangenden Seelen nicht mehr fassen sollte, bauen wir am anderen Ende der Stadt eine neue Kirche“. Dies ging nach 40 Jahren mit dem Bau des markanten Kirchengebäudes in der Dürrstraße (Ortsteil Betzingen) in Erfüllung.
In Bezug auf die im Bibelwort beschriebenen Jesuworte fragte der Bischof: „Ist unsere Sprache noch kompatibel zur Sprache Jesu?“ Gott kann uns helfen, unsere Sprache zu verändern, damit in unseren Reden die Stimme des Guten Hirten Jesus erkennbar wird.
Zeit des Teilens, Zeit des Zusammenführens, alles hat seine Zeit.
Wir haben die Möglichkeit, diese (neue zusammengeführte) Gemeinde zu unserer Gemeinde zu machen. Bischof Grauer empfahl den Gemeindemitgliedern: „Denke nicht emotional daran, was du nun hier und jetzt verlierst. Jesus Christus möchte dir auch dafür Frieden schenken. Verliere nie den Blick für das große Ganze. Jesus kennt mich, liebt mich und nimmt mich so an, wie ich bin.“
Zu weiteren Predigtbeiträgen wurden der Bezirksvorsteher Christian Probst und Bezirksevangelist Claus-Peter Wagner, bislang Vorsteher beider Gemeinden, gerufen.
Nach Feier des Heiligen Abendmahls und Fürbittgebet für die Verstorbenen erfolgte die feierliche Zusammenführung der beiden Gemeinden Reutlingen-West (Dürrstraße) und Reutlingen-Süd (Alexanderstraße) zur Gemeinde Reutlingen. Die Amts- und Funktionsträger*innen erhielten ihren Auftrag für die zusammengeführte Gemeinde. Bischof Grauer wünschte, dass sie das in der Liebe zu Jesus fortführen. Jesus Christus versteht unsere Emotionen, aber über allem gibt er mehr als er nimmt. Der Friede Gottes und der Segen Gottes möge mit der Gemeinde sein.
Seit Mitte 2020 gibt es bereits eine enge Kooperation zwischen den beiden Gemeinden Dürr- und Alexanderstraße, zu diesem Zeitpunkt hat man begonnen, Wochengottesdienste gemeinsam zu feiern.
Modernisierung des Gebäudes Dürrstraße
Die Umbaumaßnahmen haben mehrere Schwerpunkte. Zum einen wird das Gebäude funktional aufgewertet, Nebenräume werden, wo dies möglich ist, so umgestaltet, dass sie heutigen Anforderungen besser genügen. Die Barrierefreiheit im Gebäude wird ebenfalls hergestellt, hierzu wird unter anderem ein Aufzug eingebaut. Zum anderen sind auch Maßnahmen im Bereich der Ökologie vorgesehen, so wird u.a. die Wärmeversorgung des Gebäudes auf eine sogenannte Hybridanlage umgestellt. Eine neue Wärmepumpenanlage, welche durch eine Photovoltaikanlage auf dem Dach mit selbst erzeugtem Strom versorgt wird, übernimmt den größten Teil der notwendigen Wärmeversorgung. Ein Elektrospeicher rundet die energetischen Maßnahmen ab. Des Weiteren werden auch die Außenanlagen, also Parkplätze, Eingangsbereiche und Garten umgestaltet.
Viel beachtetes Gebäude
Der weithin sichtbare markante Bau in der Dürrstraße wurde Anfang der 1950er Jahre unter der Leitung des Reutlinger Architekten Ernst Digel errichtet und am 19.09.1953 geweiht, nachdem das schon damals bestehende Kirchengebäude in der Alexanderstraße für die rasch gewachsene Reutlinger Kirchengemeinde zu klein geworden war. Über das neue Kirchengebäude mit seinem ungewöhnlichen wappenförmigen Grundriss wurde in mehreren Zeitschriften berichtet, sogar in den USA. Der Neubau wurde dabei als „Modernste Kirche Europas“ bezeichnet.
Neuapostolische Kirche Reutlingen gestern und heute
Seit Juni 1906 werden in Reutlingen regelmäßig neuapostolische Gottesdienste gefeiert. Die Zahl der Gemeindemitglieder wuchs in den folgenden Jahrzehnten trotz Weltkriegen und schwierigen politischen und wirtschaftlichen Bedingungen stetig, sodass auch in den umliegenden Ortschaften Gemeinden gegründet und Kirchen gebaut werden konnten. Aktuell umfasst der Kirchenbezirk Reutlingen 15 Gemeinden in den Landkreisen Reutlingen und Tübingen. Etliche Gemeinden sind Gründungsmitglied bzw. Gastmitglied in lokalen Arbeitsgemeinschaften Christlicher Kirchen (ACK), die Reutlinger Stadtgemeinden zusätzlich auch im Rat der Religionen.